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Freifam veröffentlicht vorab die Studie “Kindeswohl und Umgangsrecht”

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Wir haben vorab Zugriff auf die Studie “Kindeswohl und Umgangsrecht” des Bundesfamilienministeriums erhalten und veröffentlichen sie jetzt, gemeinsam mit einem kritischen Blick auf die Studie.

Die Studie “Kindeswohl und Umgangsrecht” muss vom Bundesfamilienministerium nach einem Rechtsstreit herausgegeben werden, wie unter anderem der Spiegel berichtete. Auf einer kürzlich dafür eingerichteten Webseite kündigt das Ministerium an:

“Die komplette Studie wird zeitnah veröffentlicht.”

Bislang ist dies noch nicht geschehen, aber Freifam liegt sie schon vor und sie kann am Ende dieses Artikels eingesehen werden.

Meine Einschätzung zur Studie: sie ist in mehrerlei Hinsicht wert(e)los. Bevor ich meine Einschätzung begründe, hier das Ziel der Studie in ihren eigenen Worten:

“Die Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ hatte zur Aufgabe, das Wohlergehen von Kindern getrennter Eltern in unterschiedlichen Betreuungs- und Konfliktkonstellationen zu
beleuchten. Die Befunde sollten Hinweise zur kindgerechten Wahl und Ausgestaltung von Betreuungsarrangements liefern, die Eltern, Familiengerichten und Beratungsdiensten als Orientierung dienen können.”

Ein zentrales Manko der Studie “Kindeswohl und Umgangsrecht” ist die fehlende Definition dessen, was unter “Kindeswohl” verstanden wird. Dieser Begriff ist von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, Entscheidungen im Interesse des Kindes zu treffen. Ohne eine klare Definition, die sich am Wertesystem des Grundgesetzes orientiert, bleibt der Begriff jedoch vage und kann je nach Kontext und Interpretation unterschiedlich ausgelegt werden und für politische Partikularinteressen missbraucht werden.

Die Interpretation des Kindeswohls hängt stark von den eigenen Erziehungsvorstellungen ab. Diese Vorstellungen können im Grunde in zwei Kategorien eingeteilt werden: autoritäre und demokratische Pädagogik.

  • Autoritäre Erziehungsvorstellungen betonen Gehorsam, Disziplin und die Notwendigkeit, dass Kinder den Anweisungen der Erwachsenen folgen. In diesem Modell wird das Kindeswohl oft als das Wohl des Kindes interpretiert, das in einer Umgebung aufwächst, in der klare Regeln und Grenzen gesetzt werden und in der das Kind lernt, Autoritäten zu respektieren.
  • Demokratische Erziehungsvorstellungen hingegen betonen die Bedeutung von Autonomie, Selbstbestimmung und der Fähigkeit des Kindes, eigene Entscheidungen zu treffen. In diesem Modell wird das Kindeswohl als das Wohl des Kindes interpretiert, das in einer Umgebung aufwächst, in der es ermutigt wird, seine eigenen Meinungen und Gefühle auszudrücken und an Entscheidungen, die es betreffen, teilzunehmen.

Die fehlende Definition des zentralen Gegenstands der Studie, nämlich des Kindeswohls, lässt einen extrem weiten Spielraum für Interpretationen, die stark von den Erziehungsvorstellungen derjenigen abhängen, die den Begriff interpretieren. Dies kann zu erheblichen Unterschieden in der Beurteilung dessen führen, was im besten Interesse des Kindes ist, je nachdem, ob man eine autoritäre oder demokratische Erziehungsperspektive einnimmt.

Entsprechend kann das Fazit der Studie unterschiedlich interpretiert werden:

“Festgemacht am Wohlergehen der Kinder legen diese Befunde kein spezifisches Leitbild zur Verteilung der zeitlichen Anteile bei der Betreuung und Erziehung der Kinder durch ihre getrennten Eltern nahe. Auch weiterhin sollten die besonderen Lebensumstände, Ressourcen und Vulnerabilitäten von Eltern und Kindern zur Geltung kommen können, wenn Eltern, Familiengerichte oder Beratungsstellen eine passende Lösung im Einzelfall suchen. Allerdings ist es wichtig, Konflikte zwischen den Eltern und Umgangsprobleme zu begrenzen sowie Möglichkeiten für eine aktive Involviertheit der Väter zu stärken, sowohl in bestehenden Partnerschaften als auch nach einer Trennung.”

Greifen wir aus diesem Fazit den Aspekt “Konflikt zwischen den Eltern” heraus: Menschen mit autoritären Erziehungsvorstellungen werden sagen, dass bei einem Konflikt der Eltern dieser  entschärft werden muss, indem zukünftig ein Elternteil das Sagen hat und das Kind so zur Ruhe kommt – dies sei im Sinne des Kindeswohls. Anhänger einer demokratischen Pädagogik werden reklamieren, dass der Konflikt automatisch entschärft wird, wenn die Eltern gleichberechtigt, also zu 50/50 die Kinder betreuen, denn dann lohnt es sich nicht mehr für einen Elternteil, um die volle Kontrolle des Kindes zu streiten und außerdem erlebt das Kind dann eine plurale Erziehung – dies sei im Sinne des Kindeswohls.

Die Studie ist also wertlos, was eine verfassungskonforme Entscheidungsfindung darüber angeht, ob die bisherige Familienrechtsprechung beibehalten werden soll, die der autoritären Pädagogik verpflichtet ist, oder ob man stattdessen das symmetrische Wechselmodell als Regelfall einführt, um einer demokratischen Pädagogik gerecht zu werden.

Es kommt hinzu, dass die Studie selbst einräumt nur Stichproben zu liefern und nicht repräsentativ zu sein:

“Entsprechend handelt es sich nicht um eine Repräsentativbefragung, sondern um eine nach gezielten Kriterien rekrutierte Stichprobe.”

Auch die Datenbasis ist eher dünn und hat eine geschlechtsspezifische Schieflage:

“Insgesamt basieren die Analysen der Hauptstudie auf den Angaben von 360 Müttern und 130 Vätern aus 490 Trennungsfamilien mit mindestens einem minderjährigen Trennungskind”

Nicht nur ist die Studie damit von fraglichem wissenschaftlichem Wert, sondern sie wäre ohnehin für die politische oder rechtliche Entscheidungsfindung wertlos, auch wenn sie repräsentativ wäre. Denn in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung wird das Individuum geschützt, das heißt auch, dass unterschiedliche, von der Durchschnittsnorm  oder der Mehrheitsauffassung abweichende Erziehungsvorstellungen zulässig sind. Eine verfassungsgemäße Familienpolitik und -rechtsprechung darf sich daher schon nicht an Stichproben und auch nicht an repräsentativ durchgeführten Umfragen orientieren, sondern an den Werten des Grundgesetzes.

Gleiches gilt für das angeblich von der Studie ermittelte “Wohlbefinden” der Kinder und Eltern in Trennungsfamilien. Auch dieses wird völlig außerhalb des gegebenen gesellschaftlichen Kontext und der Situation der Betroffenen erhoben. Was wird ein Kind über sein Wohlbefinden sagen, das einen herrschsüchtigen Elternteil hat, bei dem es die meiste Zeit seines Lebens verbringt und eigentlich mehr Zeit mit dem anderen Elternteil verbringen will, aufgrund der Einschüchterung durch den hauptsächlich betreuenden Elternteil aber froh ist, zumindest einen oder zwei Tage im Monat mit dem anderen Elternteil zusammen sein zu können? Dieses Kind wird vielleicht diesen schrecklichen Zustand verdrängen und verleugnen, um sich vermeintlich gut zu fühlen. Das betroffene Kind wird also in der Studie als ein Kind auftauchen, das sich in diesem Betreuungsszenario gut fühlt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Studie zwar im Rahmen ihrer Aufgabenstellung des Themas auf möglichst wissenschaftliche Weise angenommen hat, damit aber gleichsam ihr Ziel verfehlt hat. Die anvisierten oder erhofften “Hinweise zur kindgerechten Wahl und Ausgestaltung von Betreuungsarrangements” liefert sie eben nicht, sondern verbleibt in einer neutralen Datenbasiertheit, die jedoch ohne eine Analyse oder einen Filter für die subjektive Färbung durch die befragten Betroffenen auskommen muss. Die Studie bleibt so wage wie der Begriff des Kindeswohls, den sie schon gar nicht definiert.

Die politischen Strömungen werden diese wertlosen Daten je nach autoritärem oder demokratischem pädagogischen Blickwinkel interpretieren und das bestehende politische Verbrechen an strittigen Trennungsfamilien fortsetzen oder (schrittweise) beenden. So gesehen kann man der Studie “Kindeswohl und Umgangsrecht” zumindest abgewinnen, dass sie die Politik völlig im Regen stehen lässt, was belastbare Empfehlungen angeht, und somit die bislang dominierende autoritäre politische Allianz unter Rechtfertigungsdruck kommt.

Hier nun die komplette Studie, damit sich der Leser selbst ein Bild machen kann:

Download “Studie "Kindeswohl und Umgangsrecht"” 230811-final-Gesamt-Broschuere-Kindeswohl-und-Umgangsrecht.pdf – 320-mal heruntergeladen – 2,09 MB

 

Autor

  • Sandro Groganz

    Chefredakteur - Ich habe Freifam gestartet, um mit meiner eigenen Situation als geschiedener Vater besser umgehen zu können. Was ich mir von der Seele schrieb, berührte andere Menschen mit ähnlichen Schicksalen. Da erkannte ich, dass Freifam das Potential zu einer neuartigen Bewegung für Familien hat. In diesem Sinne sehe ich mich als Familien-Aktivist.

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Bildquelle: Landtag von Baden-Württemberg

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