Wut ist ein Gefühl, das nicht gesellschaftsfähig ist – dabei ist es für die Persönlichkeitsentwicklung sehr wichtig.
Wut macht Eltern und Kinder authentisch. Wer versucht, so lange wie möglich ruhig zu bleiben, der unterdrückt Gefühle, projiziert sie in andere und lässt sie diese stellvertretend ausleben. Kinder merken bei Eltern sofort, ob sie authentisch sind und sehen, dass sie ein Gefühl nicht ausdrücken können. Sie beginnen dann, ihre Eltern zu provozieren, damit sie endlich authentisch sind und das Gefühl ausdrücken.
Hier ein paar konkrete Tipps, was ich mache, wenn ich Wut spüre oder wenn meine Kinder Wut spüren:
- Die Wut akzeptieren und bewusst verarbeiten: Ist mein Kind wütend und beschimpft mich, dann sage ich: Es ist nicht ok, dass du mich beleidigst und ich merke dass du wütend bist. Du darfst wütend sein, das ist ok. Erzähle mir bitte, wieso du wütend bist?
- Die Wut gemeinsam spielerisch durchleben: Mit meinen kleinen Söhnen spiele ich manchmal, dass wir Löwen sind und wie diese brüllen. Das machen wir dann, weil ich wütend bin oder sie oder wir alle drei (denn Gefühle übertragen sich auf andere Menschen). Manchmal drehe ich im Auto die Musik auf und sage: Jetzt schreien alle eine Runde. Das kann zu lustigen Lauten führen und dann entlädt sich die Wut ins Komische. Oder wir machen eine Kissenschlacht oder raufen zusammen auf dem Fußboden.
- Rollenumkehr: Laufen die immer selben Muster ab, dann kann man sich selbst überwinden. Das nächste Mal, wenn dir danach ist, dein Kind zu bestrafen, kannst du fragen: „Wie wäre es, wenn du mich heute bestrafst?“. Damit gehst du ins Spiel und den Rollentausch und erschaffst mit Humor einen Abstand zur Situation, der auch deinem Kind eine intuitive Reflexion ermöglicht.
- Der Wut nachspüren: Manchmal ist ein Kind so wütend, dass es ins Zimmer geht, dann lasse ich es zunächst in Ruhe, damit es der Wut nachspüren kann und Frusttolleranz entwickelt. Wenn es wieder heraus kommt, dann hat sein Frontallappen wieder eine Chance und wir können miteinander reden. Bleibt das Kind länger im Zimmer, frage ich immer wieder nach, ob ich rein darf, um zu reden. Damit zeige ich, dass ich die Bindung aufrecht erhalte.
- Die Wut als Kraftquelle: Ich drücke die Wut in mir nicht weg, lasse sie zu. Sie darf hoch kommen, auch mit aggressiven Gewalt-Fantasien. Ich mache das für mich alleine. Dabei agiere ich die Wut nicht aus, sondern bleibe äußerlich ruhig während ich innerlich die Wut zulasse. Nach einiger Zeit kommen mit der Wut Einsichten und Ideen: Wer ich sein will, wie ich leben will, usw. Je mehr Antworten ich dazu aus der Wut heraus erhalte, um so mehr entdecke ich meine innere Essenz und Ruhe. Mit diesem Prozess helfe ich auch meinen Kindern, indem ich ihre Wut zulasse, sie in sie hinein führe und schließlich die dahinter stehende Lebenskraft zur Entfaltung bringe.
- Wut ist eigentlich Mitgefühl: Wut entsteht, weil uns andere etwas angetan haben und mit uns dabei kein Mitgefühl hatten. Wut ist folglich ein Platzhalter für Mitgefühl und hat die selbe Qualität/Energie. Wenn Eltern ihr Kind mit Zimmerarrest bestrafen, dann wird ihnen Mitgefühl für ihre Wut verwehrt. Wenn sie sich dafür beim Kind entschuldigen, dann bekommt es wieder Mitgefühl. Hat ein Kind kein Mitgefühl für seine Wut erhalten, dann kann es in der Wut auch kein Mitgefühl haben. Aus dieser Spaltung wird unser verzerrtes Bild vom aggressiven Mann und der hilflosen Frau gespeist.
- Den Kontakt in der Wut aufrecht erhalten: Stille Treppe, Zimmerarrest und ähnliche ausgrenzenden Strafen, bestrafen durch Abbruch der Bindung zwischen Eltern und Kind. Dies sollte nie geschehen. Selbst wenn die Wut in Zorn und Zerstörung umschlägt und eine Auszeit nötig ist, sollte man dies so ankündigen, dass klar ist, dass die Bindung bestehen bleibt, zum Beispiel: “Mir ist dein Zorn jetzt zu viel und ich kann mit dir nicht mehr reden. Ich brauche eine Auszeit von 10 Minuten. Danach können wir gerne wieder darüber reden.”
- Die Übertragung von Wut aufdecken: Bei Säugetieren übertragen sich Gefühle eines Einzelnen auf die Gruppe. Es ist wichtig, als Eltern wahrzunehmen, ob das Kind selbst wütend ist oder ob man selbst wütend ist und sich das auf das Kind überträgt oder ob sich die Wut des Kindes auf einen selbst überträgt. Die Differenzierung in der Gegenübertragung verlangt, dass man sich selbst gut spürt. Ich gebe vor meinen Kindern offen zu, wenn ich merke, dass ich sie mit meiner Wut angesteckt habe. So lernen sie schon früh, die Gegenübertragung zu erspüren.
Diese Denk- und Verhaltensweisen helfen Eltern und Kindern aus der Opfer-Täter-Spirale, indem Wut als normaler Bestandteil des menschlichen Gefühlshaushalt akzeptiert wird und fruchtbar für die Persönlichkeitsentwicklung eingesetzt wird, indem Autonomie und Bindung ausbalanciert werden.
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