Nach der Rechtsprechung des BVerfG bildet das Kindeswohl die oberste Richtschnur bzw. den Richtpunkt der Elternverantwortung (BVerfGE 24, 119, 144; BVerfGE 59, 360, 376; BVerfGE 60, 79, 88; BVerfGE 107, 104, 117; BVerfGE 133, 59 (Rn. 43)). Dabei ist es von der Überlegung ausgegangen, dass die Anerkennung der Elternverantwortung und der damit verbundenen Rechte (die Rechte eines Menschen an der Person eines anderen Menschen umfassen) mit Blick auf die Würde jedes Menschen (auch des Kindes) ihre Rechtfertigung darin findet, dass das Kind des Schutzes und der Hilfe bedarf, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln, wie sie dem Menschenbilde des Grundgesetzes entspricht.
Darüber müsse der Staat wachen und notfalls das Kind, das sich noch nicht selbst zu schützen vermag, davor bewahren, dass seine Entwicklung durch einen Missbrauch der elterlichen Rechte oder eine Vernachlässigung Schaden leidet (BVerfGE 24, 119, 144). Das Kindeswohl ist zunächst vor allem in diesem Sinne zu verstehen (BVerfGE 24, 119, 144; BVerfGE 107, 104, 117). Analog ergibt sich der vom Bundesverfassungsgericht formulierte Wesensgehalt des Kindeswohl auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), und zwar aufgrund des Schutz der Familie (Art. 8 EMRK).
Dem Grundgesetz und der EMRK immanent ist, dass Kinder qua Geburt Grundrechtsträger sind und auch das Recht haben, nach dem Menschenbilde des Grundgesetz und der EMRK erzogen zu werden. Entsprechend der Ausführungen des Bundesverfassungsgericht zum Kindeswohl haben das Grundgesetz (und analog die EMRK) nicht lediglich theoretische, sondern praktische Relevanz. Es geht nicht nur darum, dass Kinder über ihre Grundrechte aufgeklärt werden, sondern dass sie diese Grundrechte erleben und leben dürfen. Ansonsten wären Grundrechte für Kinder nur theoretisch existent, würden in ihrer Lebenswirklichkeit jedoch missachtet.
Nichts anderes ist gemeint, wenn das Bundesverfassungsgericht ausführt, dass das Kind des Schutzes und der Hilfe bedarf, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. Optimal entwickeln kann sich ein Kind dementsprechend nur, wenn die Einhaltung von Grundrechten zu seiner Lebenswirklichkeit gehört (vgl. auch § 1 Abs. 1 SGB VIII).
Das oben gesagte soll nun unter dem Begriff “Kindeswohl-Werte” subsumiert werden.
Zwar sind die Bürger nicht an das Grundgesetz und die EMRK gebunden, die staatlichen Organe jedoch sehr wohl und sie haben das Verhalten der Bürger anhand der Grundrechte und speziell das von Eltern anhand der Kindeswohl-Werte, um dem staatlichen Wächteramt gerecht zu werden.
Zum Menschenbilde des Grundgesetz gehört die Gleichberechtigung der Eltern (Art. 3 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 6 Abs. 2 GG), wie auch in der EMRK (Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK). Entsprechend sind Kinder im Sinne der Gleichberechtigung und damit im Sinne des Menschenbildes des Grundgesetz bzw. der EMRK zu erziehen, da nur dies dem grundrechtskonformen Kindeswohl entspricht. Das Wechselmodell bzw. die Doppelresidenz sind folglich ein vom Gericht den Eltern und den Kindern zu garantierendes Grundrecht im Sinne der Gleichberechtigung der Eltern (d.h. Art. 3 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 6 Abs. 2 GG) und somit ein integraler Teil des durch die Grundrechte des Bürgers statuierten Wertordung bzw. Wertsystems (vgl. 1 BvR 400/51). Nicht umsonst fordert die Resolution 2079 explizit die Gleichberechtigung der Eltern („Within families, equality between parents must be guaranteed and promoted […]”).
Familiengerichtliche Beschlüsse müssen auf den Mittelpunkt dieses Wertsystems ausgerichtet sein (vgl. 1 BvR 578/63), weshalb in Deutschland in allen familiengerichtlichen “Umgangs”-Verfahren eigentlich schon längst das Wechselmodell bzw. die Doppelresidenz als Standard-Betreuungsmodell nach der Trennung der Eltern angeordnet werden müsste. Alles andere widerspricht den grundrechtlichen Kindeswohl-Werten.