Die Menschheit wächst vor allem im Westen stetig aus dem Überlebenskampf heraus. Zum Beispiel müssen seit der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen deutlich weniger Männer im Militär dienen, um ihr Land zu schützen und der Wohlfahrtsstaat hat sie entlastet, was die Versorgung der Familie angeht.
Das traditionelle Modell, in dem der Vater arbeitet und die Mutter zu Hause bleibt, findet nach der Scheidung im Residenzmodell seine Entsprechung. Diese Vorstellung von Familie fußt auf den biologischen Notwendigkeiten des Überlebenskampfs. Anders ist es beim Wechselmodell, das zunehmend Verbreitung findet. Hiermit wird gleichberechtigte Elternschaft möglich, die nicht einer Notwendigkeit entspringt, sondern humanistischen und demokratischen Grundprinzipien wie Freiheit und Gleichheit.
Deutschland befindet sich derzeit im Übergang von der Überlebens- zur Lebensgemeinschaft. Sinnigerweise nutzen wir das Wort “Lebensgemeinschaft” auch für die Paarbeziehung, die jedoch in der Ehe eher eine Überlebensgemeinschaft war. Eröffnet das Wechselmodell getrennten Paaren eine elterliche Gemeinschaft, die ein Leben lang hält?
Was kommt nach dem Überleben? Wir sehen es an der zunehmenden Zahl an Atheisten und Menschen, die im Spirituellen Sinn suchen, sowie der steigenden Nachfrage nach Lebenscoaches. Wir sehen es in der Frage, was bleibt für uns übrig, wenn Künstliche Intelligenz auch die Wissensarbeiter ersetzt? Wir sehen es in der Frage, wie wir unsere Kinder zukünftig in Schulen auf eine Welt vorbereiten wollen, deren Jobs es noch nicht gibt?
Die Welt nach dem Überleben dreht sich um den Menschen. Das Leben dieser neuen Art der Gemeinschaft wird davon abhängen, ob wir mehr Mitgefühl füreinander entwickeln – wie es Stephen Hawking wunderbar ausgedrückt hat.
Von dieser Perspektive aus gesehen, ist das Wechselmodell Ziel und Ausgangspunkt zugleich. Menschen, die das Wechselmodell favorisieren, respektieren und tolerieren ihren einstigen Feind aus der Scheidungsschlacht, manche spüren mit der Zeit auch wieder Mitgefühl füreinander.
Verankert Deutschland das Wechselmodell im Gesetz, dann lautet die Botschaft: Vergessen wir die alten Kämpfe, ab jetzt sind beide Eltern gleich. Das bringt sie schneller aus dem Konflikt heraus und in das Mitgefühl hinein – damit Trennung nicht Überleben, sondern neues Leben bedeutet.