OLG Nürnberg macht Sorgerecht lediger Väter von Kooperationsbereitschaft der Mutter abhängig
Das Oberlandesgericht Nürnberg konterkariert die im Fall Zaunegger erreichte Gleichberechtigung nichtehelicher Kinder und lediger Väter, indem es das Sorgerecht des Vaters von der Kooperationsbereitschaft der Mutter abhängig macht.
Das Oberlandesgericht Nürnberg hat mit Beschluss vom 05.10.2021 (Az: 9 UF 694/21) durch die Richter Schwarz-Spliesgart, Dr. Frommhold und Lesche die Entscheidung des Amtsgerichts Weißenburg vom 02.06.2021 aufgehoben und dem betroffenen ledigen Vater das gemeinsame Sorgerecht (§ 1626a BGB) für seine nichtehelichen Kinder verweigert.
Zunächst führt das Gericht in seiner Begründung aus, dass der Beurteilungsmaßstab der Entscheidung die im § 1626a BGB kodifizierte (negative) Kindeswohlprüfung ist, um dann aber im nächsten Schritt auf die im Rahmen der Rechtsprechung zu § 1671 BGB (Übertragung der Alleinsorge bei Getrenntleben der Eltern) entwickelten Maßstäbe zurückzugreifen:
“Notwendig ist die umfassende Abwägung aller für und gegen die gemeinsame Sorge sprechenden Umstände. […]. Ein solcher Rückgriff auf die Maßstäbe des § 1671 Abs. 1 BGB ist auch deshalb sinnvoll, weil andernfalls die (theoretische) Möglichkeit bestünde, dass dem Vater zunächst gemäß § 1626a BGB die Mitsorge übertragen würde, er diese aber auf einen Antrag nach § 1671 Abs. 1 BGB wieder verlieren würde.”
Damit hat sich auf der ersten Prüfungsstufe die Frage der Beweislast (bei der Mutter) zur negativen Kindeswohlprüfung erledigt. Sämtliche Überlegungen und Entscheidungen, die zur Neuregelung des § 1626 a BGB geführt haben, sind damit hinfällig.
Dieser Neuregelung zum 13.05.2013 ging ein jahrelanger Rechtsstreit beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) voraus. Dieser Rechtsstreit des Vaters Horst Zaunegger führte zu einer gesetzlichen Neuregelung des § 1626a BGB in Deutschland, mit der verhindert werden sollte, dass das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art. 6 Abs. 2 GG verletzt wird, wenn er ohne Zustimmung der Mutter generell von der Sorgetragung für sein Kind ausgeschlossen wird.
Die Details hat Freifam als Zeitzeugen in einem Video mit Horst Zaunegger gesichert: Freifam im Live-Gespräch mit Horst Zaunegger (Sorgerecht für ledige Väter)
Um diese Gleichberechtigung nichtehelicher Kinder und lediger Väter zu umgehen, begab sich das OLG Nürnberg im aktuellen Fall auf eine zweite Prüfungsstufe einer “prognostischen Sicht” bezüglich einer zwischen den Eltern bestehenden oder zu erwartenden Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit. Es erfordere laut OLG Nürnberg insoweit eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern.
Obwohl die Eltern seit Jahren die Umgangszeiten für die Kinder autonom zu regeln in der Lage sind und obwohl eine äußerst umfangreiche und wohlwollende Kommunikation über einen Messengerdienst sowie über Telefon praktiziert wird, kam das Gericht zur Überzeugung, dass “eine Kommunikationsebene zwischen den beiden Elternteilen nicht besteht”. Letztlich war die mangelhafte Kommunikation der Vortrag der Mutter, auf den das Gericht eingestiegen ist und mehreren hundert Seiten Kommunikationsdokumentation des Vaters ignorierte.
Das OLG Nürnberg hat sich nicht dafür interessiert, welcher Elternteil für die (unterstellte) fehlende Kooperationsbereitschaft oder Kooperationsfähigkeit bzw. Kommunikation verantwortlich ist bzw. wäre sondern hat dieses als Bedingung – als Grundvoraussetzung – für die gemeinsame Sorge unterstellt. Dabei wurde noch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus der Zeit vor der Neuregelung der gemeinsamen elterlichen Sorge herangezogen:
“Die zu treffende Abwägung ist dabei nicht an einer Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern vorrangig am Kindeswohl zu orientieren (BerfG FamRZ 209, 1389)”.
In der ursprünglichen Ausgestaltung hatte § 1626a BGB gegen das Diskriminierungsverbot im Europarecht verstoßen, da diese Norm eine deklaratorische Zustimmung des Sorgeberechtigten (die Mutter) erforderte ehe der andere Elternteil das gemeinsame Sorgerecht erhalten konnte. Insofern wurde diese Regelung zutreffend als (den Vater) diskriminierend und europarechtswidrig beurteilt.
Es kann aber nicht angehen, wenn sich die Rechtsprechung auf diese Neuregelung nun insoweit ändert, dass es nicht mehr auf die deklaratorische Zustimmung ankommt sondern auf das Verhalten bzw. Vorbringen des Elternteils, das das alleinige Sorgerecht inne hat.
Wenn der Inhaber des alleinigen Sorgerechts durch strategisches Verhalten – sprich durchgeführte bzw. angekündigte eingeschränkte oder unterbundene Kommunikation und Kooperation mit dem anderen Elternteil – die Grundvoraussetzung für die gemeinsame Sorge ohne Konsequenzen verhindern kann, dann tritt an die Stelle der deklaratorischen Zustimmung eine faktische Zustimmungsvoraussetzung.
Es macht hinsichtlich der Diskriminierung des nicht sorgeberechtigten Elternteils aber keinerlei Unterschied, ob es auf der Grundlage von einer verweigerten deklaratorischen Zustimmung oder einer verweigerten faktischen Zustimmung aufgrund von strategischem Verhalten nicht ins gemeinsame Sorgerecht kommt.
Vor diesem Hintergrund hat der Vater gegen diesen Beschluss zunächst Anhörungsrüge und Verfassungsbeschwerde erhoben. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen 1 BvR 2465/21 geführt.
Bildnachweis: Von Straktur in der Wikipedia auf Deutsch – selbst fotografiert, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16847407
Sehe ich das falsch oder wird das im Artikel genannte Verfahren BvR 2465/21 für uns alle ein lang erwarteter Grundsatzbeschluss?
Wann wird er in etwa zu erwarten sein?
Leider nein, zwischenzeitlich hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Aber ähnliche Verfassungsbeschwerden mit weitgehend identischer und weiterer Begründung liegen mittlerweile dem Bundesverfassungsgericht vor.