Bundesverfassungsgericht: Beschlagnahme des Handys eines Freifam-Journalisten wohl unverhältnismäßig

Das Bundesverfassungsgericht kritisiert die Beschlagnahme des Smartphones eines Freifam-Journalisten wegen einer Filmaufnahme als voraussichtlich verfassungswidrig. Wir veröffentlichen exklusiv die Entscheidung.
Im März 2025 geriet ein Freifam-Journalist in eine vermeintlich routinemäßige Verkehrskontrolle, die binnen Minuten eskalierte. Ihm wurde unter einem Vorwand gewaltsam das Handy von einem Polizisten entrissen, er wurde zu Boden geworfen, in Handschellen gelegt und am Ende waren etwa zehn Polizeibeamte involviert. Dies alles, weil der Journalist nach eigener Aussage angeblich sich selbst im Auto gegen Ende der Verkehrskontrolle per Handy gefilmt hatte. Darin will die Polizei, obwohl sie selbst als erste per Body-Cam filmte, bis heute, eine Straftat wegen „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ (§ 201 StGB) erblicken.
Das Bundesverfassungsgericht hat zur Beschlagnahme unter dem Aktenzeichen 1 BvR 975/25 am 09.07.2025 eine bemerkenswerte Kammerentscheidung in diesem Fall getroffen. Das BVerfG hat die Beschwerde zwar als unzulässig verworfen, aber in selten deutlicher Weise erkennen lassen: Der Anfangsverdacht einer „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ beim offen mit dem Smartphone gefilmten Body‑Cam‑Einsatz sei bereits fachrechtlich umstritten sowie durch Rechtfertigungsgründe zweifelhaft und bewertet deshalb das staatliche Strafverfolgungsinteresse als gering. Außerdem sei eine monatelange Beschlagnahme eines Smartphones bei bagatellhaftem Tatverdacht kaum verfassungsfest.
Wir skizzieren in diesem Artikel den Sachverhalt, wie er sich aus den uns vorliegenden Akten ergibt und wie er aus einer eidesstattlichen Versicherung unseres Kollegen hervorgeht. Anschließend beleuchten wir den Beschluss des Verfassungsgerichts, der am Ende des Artikels exklusiv zum Download angeboten wird. Da dieser Beschluss im Kontext eines noch laufenden Strafverfahrens erfolgte, haben wir den Vorgang anonymisiert und nennen auch den Namen unseres Kollegen auf dessen ausdrücklichen Wunsch nicht. Er befürchte sonst Nachteile im Verfahren, teilte er uns mit.
Verkehrskontrolle ohne Beanstandungen
Der Freifam-Journalist war am helllichten Tag mit seinen Kindern im Auto unterwegs. Drei junge Polizeibeamte stoppten ihn in einer Ortschaft wegen vermeintlich auffälligen Fahrverhaltens, welches von ihm vor Ort bestritten wurde.
Zunächst wurden wie verlangt der Personalausweis und der Führerschein zur Kontrolle übergeben. Sodann sollte er zum ersten Mal aus dem Auto steigen, was der Journalist tat. Die Polizisten fragten, ob er sich zu einem Alkoholtest bereit erkläre, worauf er sich freiwillig einließ. Nachdem der Befund negativ war, durfte der Journalist wieder zu seinen Kindern ins Auto einsteigen.
Im Anschluss wollten die jungen Beamten den Verbandskasten und das Warndreieck prüfen. Wieder stimmte der Journalist zu und auch hier gab es keine Beanstandungen seitens der Polizei.
Handy entrissen und Handschellen angelegt
Da sich die Polizei nach Ansicht des Journalisten auffällig viel Zeit mit ihren Kontrollen ließ, äußerte er mehrfach seinen Unmut gegenüber den Beamten. Er ließ die Polizisten einige Male wissen, dass er sich schikaniert fühle und behauptete ihnen gegenüber, während er im Auto saß, dass er jetzt mit seinem Handy ein Selfie-Video aufzeichne. Dadurch war klar, dass wenn überhaupt, der Journalist nur sich selbst im Auto sitzend aufnahm. Die Polizisten forderten den Journalisten erstmalig auf, die Aufzeichnung zu unterlassen.
Nach dieser Aufforderung setzten die Polizisten ihre Verkehrskontrolle zunächst fort, indem sie den im Fahrzeug sitzenden Journalisten zur Teilnahme an einem Beleuchtungstest bewegten. Auch bei dieser Kontrolle gab es keine Beanstandungen durch die Beamten.
Als die Verkehrskontrolle damit augenscheinlich beendet war, haben die Polizisten den Journalisten gebeten, nochmals aus dem Auto auszusteigen, und zwar mit der expliziten Begründung, man wolle ihm den Personalausweis und den Führerschein übergeben.
Als der Journalist mit seinem Handy in der Hand ausstieg, wurde aus der Routinekontrolle ein gewaltsamer Eingriff. Statt wie angekündigt die persönlichen Unterlagen zu übergeben, wurde dem Journalisten von einem Polizisten das Smartphone aus der Hand geschlagen, er wurde von den Polizeibeamten gewaltsam zu Boden in den Schlamm geworfen und mit Handschellen fixiert.
Danach kamen weitere Polizisten in mehreren Streifenwagen zur Verstärkung angerauscht. Annähernd zehn Polizeibeamte waren nach Erinnerung unseres Kollegen am Ort des Geschehens und damit beschäftigt, ihn ohne Gegenwehr in Schach zu halten. Dass keine Gegenwehr erfolgte, ist gerichtlich verbrieft, denn der Vorwurf der Polizisten, er habe Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet, wurde von der Staatsanwaltschaft inzwischen fallen gelassen.
Keine nachgewiesene Aufnahme
Wie sich aus der Akte rekonstruieren lässt, haben die Polizisten zunächst sprichwörtlich auf eigene Faust gehandelt, als sie dem Journalisten unter einem Vorwand das Handy aus der Hand schlugen. Erst, als sie es in ihren Besitz gebracht haben, wurde es nach Absprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, und zwar wegen des Verdachts der „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ nach § 201 StGB.
Einer späteren Mitteilung der Staatsanwaltschaft lässt sich entnehmen, dass das Smartphone nicht ausgewertet wurde. Sie begründet das damit, dass der Journalist eingestanden hätte, eine Aufnahme gemacht zu haben, weshalb das betreffende Video nicht mehr ausgewertet werden müsse. Es ist daher noch unklar, ob vom Journalisten überhaupt die Aufzeichnung technisch funktioniert hat, ob ein gesprochenes Wort auch nur eines der Polizisten tatsächlich aufgezeichnet wurde oder nicht und ob er die Aufnahme überhaupt versucht hat oder es sich um eine Schutzbehauptung handelte.
Karlsruhe spricht Klartext
Die anschließende Beschwerde des Journalisten beim Landgericht gegen die Beschlagnahme seines Smartphones wurde verworfen. Daraufhin ging er direkt mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung zum Bundesverfassungsgericht. Eine Anhörungsrüge gegen die Entscheidung des Landgerichts wurde nicht erhoben, was dann aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts ein formaler Fehler war, der zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde führte.
Doch was aus der weiteren Begründung des Verfassungsgerichts folgt, hat es in sich:
- Die Kammer hält es für fachrechtlich fraglich, ob von den Polizisten mit der Body‑Cam gefilmte Geschehen überhaupt den Straftatbestand „Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes“ erfüllt, und bewertet das Strafverfolgungsinteresse daher als gering.
- Nach Herausgabe der PIN könne das Gerät sofort gespiegelt und das relevante Video separat gesichert werden; eine längere Wegnahme verletze das Recht am Eigentum (Art. 14 GG) und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
- Übersteigt die Beschlagnahme die Marke von rund drei Monaten, wächst die Begründungslast der Ermittlungsbehörden erheblich – faktisch setzt der Beschluss damit ein strenges Zeit‑Limit.
Filmen der Polizei ist kein Verbrechen per se
Besonders deutlich äußert sich das Gericht zur Frage, ob das Filmen eines Polizeieinsatzes überhaupt eine Straftat im Sinne von § 201 StGB darstellt. Die Richter verweisen auf „beachtliche Argumente gegen die Strafbarkeit der Aufzeichnung polizeilicher Maßnahmen“ und zwar „allgemein, jedenfalls aber von polizeilichen Maßnahmen, die seitens der Polizei offensichtlich mittels Bodycam aufgezeichnet werden“.
Das Bundesverfassungsgericht stellt unmissverständlich klar:
„Polizeiliche Maßnahmen dürfen aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht dazu führen, dass Betroffene aus Furcht zulässige Aufnahmen und mit diesen nicht selten einhergehende Kritik an staatlichem Handeln unterlassen.“
Dieses Zitat ist eine klare Absage an eine pauschale polizeiliche Abschottung gegenüber Dokumentation ihres Vorgehens und bürgerlicher Kontrolle.
Recht auf informationelle Selbstbestimmung
Die Verfassungsrichter lassen in ihrem Kammerbeschluss keinen Zweifel daran, dass sie die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme ernsthaft bezweifeln im Verhältnis zur informationellen Selbstbestimmung, für die das Handy ein zentrales Werkzeug ist.
„Zweifel bestehen […] daran, ob die andauernde Beschlagnahme sich noch als verhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung […] und Art. 14 Abs. 1 GG erweist.“
„Smartphones haben heute einerseits eine besondere Bedeutung für das alltägliche Leben ihrer Nutzenden, andererseits ergibt sich aus ihrer Auswertung ein erhebliches Risiko für die Persönlichkeitsrechte des Nutzenden. Sie haben eine für die persönliche Lebensführung unverzichtbare Bedeutung.“
Beschlagnahme als Quasi-Sanktion
Auch zur Frage der Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme äußert sich das Gericht erfreulich klar: Der staatliche Strafverfolgungswille reicht allein nicht aus, um ein Gerät zu beschlagnahmen, das in jeder Hinsicht das Zentrum des privaten Alltags ist.
„Eine Beschlagnahme und Auswertung eines Smartphones kann sich […] als eine faktische Sanktionierung ihres Handelns bereits im Ermittlungsverfahren darstellen.“
Zudem hat der Journalist laut Aktenlage angeboten, die PIN des Geräts herauszugeben. Das Video war also leicht zugänglich. Das Gericht hält fest:
„Eine unverzügliche Auswertung oder Spiegelung des Smartphones mit daran anschließender Beschlagnahme nur des gegenständlichen Videos […] erscheint […] technisch und praktisch so schnell und einfach möglich […], dass […] eine länger andauernde Beschlagnahme […] nur schwer zu rechtfertigen sein dürfte.“
Das heißt im Klartext: Selbst wenn eine spätere Anklage erfolgreich ist, kann schon die mehrmonatige Beschlagnahme eines Smartphones eine empfindliche Bestrafung darstellen, was verfassungsrechtlich hochproblematisch ist.
Maximaldauer für Beschlagnahme
Mit seinem Beschluss zieht das Bundesverfassungsgericht erstmals eine klare Zeitlinie für Fälle geringfügiger Delikte, bei denen den Ermittlern der PIN oder sonstiger leichter Zugang zum Gerät bereits vorliegt: Drei Monate gelten ab nun als Obergrenze. Danach ist eine fortdauernde Wegnahme grundsätzlich unverhältnismäßig. Karlsruhe betont:
„Den Aspekten, die das staatliche Interesse an einer über drei Monate andauernden
Beschlagnahme des Smartphones als schwach erscheinen lassen, stehen hier durchaus gewichtige private Interessen [des Journalisten] aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Art. 4 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2004 – 2 BvR 1136/03 -, Rn. 43) gegenüber.“
Für Bagatelltatbestände wie das hier diskutierte offene Filmen (§ 201 StGB) bedeutet das faktisch: Ist das Video erst kopiert, muss das Handy binnen dieser Frist zurück an den Besitzer. Alles darüber hinaus verletzt Eigentum und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Signal an Strafverfolger
Auch wenn Karlsruhe den Fall formal nicht entschieden hat, entfaltet der Beschluss nach unserer Einschätzung enorme Signalwirkung: Die Schwelle für Eingriffe in digitale Grundrechte wurde konkretisiert. Wer filmt, wenn der Staat filmt, ist nicht automatisch ein Straftäter und der Staat muss sich Kritik, Kontrolle und Transparenz durch wehrhafte Bürger grundsätzlich gefallen lassen.
Es reicht nicht, dass ein Gerät für den digitalen Informationszugang irgendwie „Beweisbedeutung“ haben könnte – es muss konkret, verhältnismäßig und technisch unvermeidbar sein, das Gerät länger zurückzuhalten. Das dürfte viele Staatsanwaltschaften künftig in Erklärungsnot bringen.
Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts reichen nach unserer Einschätzung über den Einzelfall des § 201 StGB hinaus, auch die Beschlagnahme von elektronischen Geräten im Zusammenhang mit Hausdurchsuchungen aufgrund von Posts in sozialen Medien müssten unter die Hinweise der Kammer fallen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht auf deren Website veröffentlicht. Deshalb bieten wir sie auf unserer Seite zum Download an.
Download “Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 09.07.2025 wegen Beschlagnahme eines Smartphones (1 BvR 975/25)” ANON-2025-07-09-BVerfG-1-BvR-97525.pdf – 2249-mal heruntergeladen – 9,36 MB



