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Der geopferte Pluralismus: Wenn der Streit der Eltern für die Harmonie weichen muss

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Wenn Streit für erzwungene Harmonie geopfert wird, leiden Meinungsfreiheit und Pluralismus in der Familie. Eine demokratische Erziehung muss Vielfalt und Dissens zulassen.

Im aktuellen Familienrecht wird der Pluralismus innerhalb der Familie oft geopfert, sobald es zu einem Streit zwischen den Eltern kommt. Anstatt die Meinungsvielfalt als natürlichen Bestandteil des familiären Lebens zu respektieren, indem Familiengerichte das symmetrische Wechselmodell anordnen, wird sie zugunsten einer erzwungenen Harmonie im Residenzmodell unterdrückt. Dies führt dazu, dass der Dissens zwischen den Eltern nicht als Chance für eine pluralistische Auseinandersetzung gesehen wird, sondern als Problem, das beseitigt werden muss.

Das Familienrecht will die Harmonie, anstelle des Pluralismus – diese Erziehungsvorstellung hat der Gesetzgeber explizit zu § 1627 BGB in der Bundesdrucksache II/224 formuliert:

„§ 1627 des Entwurfs stellt Grundsätze für die gemeinsame Ausübung der elterlichen Gewalt durch Vater und Mutter auf, die sich aus der natürlichen Ordnung des Familienlebens ergeben; sie sollen verpflichtende Richtlinien für die Eltern sein. Die Eltern müssen sich bei allem, was sie in Ausübung der elterlichen Gewalt tun, ihrer eigenen Verantwortung für das Kind bewußt sein, die ihnen grundsätzlich niemand abnehmen kann, auch nicht das Gesetz oder die Entscheidung einer staatlichen Behörde. In einer guten und harmonischen Ehe, in der Mann und Frau nicht ihre individuellen Rechte betonen, sondern sich der aus der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Pflichten bewußt sind, wird die elterliche Gewalt im gegenseitigen Einvernehmen ausgeübt; das Wohl des Kindes ist dabei oberste Richtschnur. Jede Gemeinschaft, besonders aber die Familie, bedarf zu ihrem Gedeihen der gegenseitigen Rücksichtnahme und der Anpassung ihrer einzelnen Glieder. Die Eltern müssen sich in den grundsätzlichen Fragen der Erziehung ihrer Kinder einig werden. Die Erziehung des Kindes im einzelnen und die Besorgung seiner Angelegenheiten wird je nach der Aufgabenteilung, die die Verhältnisse der Familie mit sich bringen, häufig dem einen oder anderen Teil allein obliegen. Die gemeinsame elterliche Gewalt von Vater und Mutter braucht nicht in jedem Falle zu gemeinsamer Beratung und Entscheidung und zum gemeinsamen Handeln zu führen. Jeder Elternteil muß dem Kinde gegenüber eine selbständige Autorität haben. Das Kind muß wissen, daß der Wille eines Elternteils auch der Wille des andern ist.”

Die erzwungene Harmonie hat zur Folge, dass am Ende nicht nur die Eltern, sondern auch die Kinder in ihren Rechten und in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt werden. Sobald ein Konflikt auftritt, greift das Familienrecht ein und legt fest, dass eine einheitliche Erziehungslinie verfolgt werden muss – oft unter der Leitung eines Elternteils, der die Entscheidungen alleine trifft. Damit wird der pluralistische Ansatz, in dem beide Eltern ihre unterschiedlichen Ansichten in die Erziehung einbringen können, vollständig aufgegeben.

Die Konsequenz dieser Vorgehensweise ist, dass die Familie als Raum der Vielfalt und Meinungsfreiheit verkümmert. Statt einen offenen Austausch von Meinungen und die Möglichkeit zu bieten, unterschiedliche Perspektiven zu diskutieren, wird eine autoritäre Lösung erzwungen, die nur noch einem Elternteil die Entscheidungsgewalt überlässt. Als Ultima Ratio bleibt nur noch die erzwungene Harmonie im Residenzmodell, die sowohl die Rechte der Eltern als auch die der Kinder einschränkt.

Kinder verlieren dadurch die Möglichkeit, in einer Umgebung aufzuwachsen, die ihnen zeigt, wie man mit unterschiedlichen Meinungen umgeht und wie man Pluralismus als Bereicherung erleben kann. Stattdessen erleben sie eine Familienstruktur, in der Konformität und Einheit über die freie Meinungsäußerung gestellt werden. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder, da sie lernen, dass Streit und Meinungsverschiedenheit vermieden werden müssen, um Harmonie zu wahren, anstatt konstruktiv mit Differenzen umzugehen.

Der Pluralismus in der Familie wird somit dem Ziel der Harmonie geopfert, und am Ende bleibt nur noch ein autoritärer Erziehungsstil, in dem weder Eltern noch Kinder ihre Meinungsfreiheit ausleben können. Dieser Mechanismus zeigt, dass das Familienrecht an vielen Stellen noch weit von den Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entfernt ist, da es Vielfalt und Dissens nicht als wertvolle Bestandteile des familiären Zusammenlebens anerkennt.

Autor

  • Sandro Groganz

    Chefredakteur - Ich habe Freifam gestartet, um mit meiner eigenen Situation als geschiedener Vater besser umgehen zu können. Was ich mir von der Seele schrieb, berührte andere Menschen mit ähnlichen Schicksalen. Da erkannte ich, dass Freifam das Potential zu einer neuartigen Bewegung für Familien hat. In diesem Sinne sehe ich mich als Familien-Aktivist.

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