Der Widerspruch zwischen Kollektivität der Eltern und individueller Erziehung des Kindes
Eltern müssen als Individuen agieren, auch wenn sie gemeinsam im Kollektiv für ihre Kinder verantwortlich sind. Nur so können Kinder lernen, sich als eigenständige Persönlichkeiten zu entwickeln.
Es ist kein Widerspruch, von Eltern als Individuen zu sprechen, nur weil sie gemeinsam für das Kind verantwortlich sind und das Kind ein Recht auf beide Eltern hat. Tatsächlich besteht das Recht des Kindes darauf, von beiden Eltern betreut und erzogen zu werden. Gleichzeitig hat das Kind aber auch das Recht, als Individuum erzogen zu werden, was bedeutet, dass es in seiner Entwicklung zur eigenen Persönlichkeit unterstützt wird. Hier entsteht jedoch ein fundamentaler Widerspruch im herrschenden Familienrecht, welches in § 1627 BGB das Elternkollektiv über das Elternindividuum stellt: Wie sollen Eltern, die als Kollektiv betrachtet und aufgefordert werden, ihre Individualrechte in der Familie aufzugeben, ein Kind zu einem Individuum erziehen?
Dieser Widerspruch zeigt sich deutlich, wenn man bedenkt, dass das Kind als Träger der Menschenwürde auch ein Individualrecht auf Meinungsfreiheit besitzt. Wie soll das Kind in einem Umfeld aufwachsen und lernen, dass es selbst ein eigenständiges Individuum mit Rechten ist, wenn seine Eltern nicht als Individuen auftreten dürfen und ihre eigenen Meinungsrechte und Freiheiten in der Erziehung einschränken müssen? Wenn Eltern in ihrer Rolle auf ein bloßes Kollektiv reduziert werden, wird die Möglichkeit, dass sie dem Kind vielfältige Perspektiven und die Bedeutung der individuellen Selbstbestimmung vermitteln können, stark eingeschränkt.
Die Erwartung, dass Eltern in ihrer Rolle als Erziehende auf ihre Individualität verzichten und ausschließlich als Kollektiv agieren sollen, steht in einem tiefen Widerspruch zu der Vorstellung, dass das Kind als Individuum erzogen werden soll. Ein Kind kann nur dann lernen, was es bedeutet, als eigenständiges Individuum zu leben, wenn es in einer Umgebung aufwächst, in der seine Eltern ebenfalls als Individuen agieren und ihre Meinungen, Werte und Perspektiven frei äußern und ausleben können. Durch die Reduktion der Eltern auf ein Kollektiv wird diese wertvolle Erfahrung für das Kind eingeschränkt.
Darüber hinaus wird durch die Kollektivität der Eltern auch die Meinungsfreiheit innerhalb der Familie unterdrückt. Die Fähigkeit, Meinungsverschiedenheiten zu haben und als individuelle Persönlichkeit für eigene Überzeugungen einzutreten, ist ein wichtiger Bestandteil der Erziehung zur Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. Wenn Eltern diese Rechte nicht selbst ausüben dürfen, weil sie im Rahmen des Familienrechts auf eine kollektive Einheit reduziert werden, fehlt dem Kind die direkte Erfahrung, wie Meinungsfreiheit und individuelle Rechte innerhalb einer Familie gelebt werden können.
Der wahre Widerspruch liegt also nicht darin, dass Eltern als Individuen agieren, während sie gemeinschaftlich für das Kind verantwortlich sind. Vielmehr entsteht der Widerspruch, wenn Eltern in ihrer Individualität beschnitten werden und gleichzeitig erwartet wird, dass sie ein Kind erziehen, das selbst seine Individuelle Autonomie entwickelt. Um dem Kind zu ermöglichen, ein freies, selbstbestimmtes Individuum zu werden, müssen Eltern auch in ihrer Rolle als Erziehende das Recht und die Freiheit haben, als Individuen zu handeln und ihre eigenen Meinungen und Perspektiven in der Erziehung zum Ausdruck zu bringen.